Mensch sein

Was könnte der Mensch sein, wenn er es werden wollen würde? Ein vollkommenerer und vielleicht sogar ein vollkommener?

Das klingt erst mal etwas verstiegen.

Ich glaube langsam, dass der Mensch an sich gar nicht weiß, dass das möglich ist.

Vielleicht brauchen wir unsere Schulen, um genau das zu lernen. Der Rest lässt sich beiläufig und später erledigen.

Schliesslich könnte die Welt besser werden, wenn menschliche Macht- und Kampfgelueste und Aggressionen aller Art allmählich Geschichte würden.

Wie das gehen könnte? Ich glaube zutiefst an die zwölf Tugenden. Sie beginnen in der mittelalterlichen Sprache mit “Starkmut durch Zucht”, womit ein geführter Mut gemeint ist – ein bedachter Mut. Nicht Übermut und auch nicht Tollkühnheit.

Die Reihe der Tugenden endet mit Liebe, mit der selbstlosen Liebe, die nichts für sich will, sondern ganz selbstverständlich gibt – Agape.

Die Tugenden lernen und üben – weltweit. Dann könnte sich die Welt allmählich ändern. Dann gäbe es eine Übermacht, die eine friedliche Welt will.

Dann könnten wir uns den wirklichen Problemen mit aller Kraft zuwenden: Dem Klimawandel, dem Hunger, der Armut, der sinnlosen Überproduktion….

Was braucht es, um etwas zu ändern, um all das Zerstörerische endlich der Geschichte einzuverlaiben?

Die Schönheit des Menschen und seine Kraft, mit der er soviel Gutes tun kann

Zu viel Gefühl…

…ich bin schon wieder bei einem Zuviel. Nach der Moral das Gefühl. Ich wage jetzt mal die These, dass zu viel Gefühl oft verheerend ist.

Die einen ertrinken buchstäblich in ihren Glücksgefühlen, in einer großen Liebe. Der Schritt zum Aussersichsein und damit auch einem Ausgeliefertsein ist oft nur noch ein kleiner. Meine Gefühle, und wenn sie noch so großartig und wunderbar sind, beherrschen mich dann und nicht ich sie. Grausam wird es, wenn sie nicht annähernd äquivalent erwidert werden. Das Glücksgefühl verwandelt sich in abgrundtiefen Schmerz. Auch darin verliere ich mich selbst.

Anderes Szenario. Kaum ein Mensch DENKT „Jetzt bringe ich mal ein paar Tausend Menschen um“. Aber er hasst den Anderen, weil er etwas hat, was er nicht hat , aber auch gern hätte. Weil die Ideen der anderen nicht in sein Weltbild passen. Die Gefühle übernehmen die Führung und er zettelt einen Krieg an, bei dem viele, viele Menschen sterben müssen. Tausende.

Dieser Mensch ist auch seinen Gefühlen gefolgt, diese „Nebenerscheinungen“ in Kauf nehmend.

Ich glaube immer mehr, je älter ich werde, dass Gefühle etwas Tückisches in sich haben. Dass sie Zügel, Steuerung, eine ordnende „Hand“ brauchen. Diese Aufgabe kann nur, nein, muss unser Kopf übernehmen. Ich bin dann kein sogenannter Kopfmensch, sondern ICHbestimmt.

Denken und Fühlen sollten, bin ich überzeugt, als unzertrennliches Paar erlebt und gelebt werden. Nur so können beide ihre großen Fähigkeiten entfalten. Außerdem braucht auch moralisches Handeln am Ende diese Symbiose.

Auch große Kunst entsteht aus großen Gefühlen oder…? Und Lebenskunst.

Wie bei Edvard Munch’s „Loslösung“ : Der Trennungsschmerz gerinnt für immer zum zeitlosen Kunstwerk

Gesichter

Déjà-Vulkan-Erlebnisse erwecken bei mir Faszinationen. Schon immer. Ich schaue in ein Gesicht, es erweckt Vertrautheit. Mein Gedächtnis liefert keinen Namen dazu. Und dabei bleibt es, ein wenig Verstörtheit eingeschlossen. Doch manchmal tauchen aus der Nebelschicht Bilder auf. Bilder von fremd vertrauten Orten. Sie ranken sich um mich und um das Gesicht, um aber auch schnell wieder zu verschwinden.

Gesichter haben mich auch jüngst wieder eingefangen. In der Gemäldegalerie am Kulturforum. Irgendwann begann das Spiel: Wo würde dieser bärtige Renaissance-Mensch heute hinpassen? Gastwirt im Sternerestaurant, Schauspieler in der Krimiserie, Mutter vom Freund des Kindes. Wo könnte ich die Lady mit dem verhaltenen Lächeln heute treffen? In der aktuellen Kunstausstellung als Besucherin oder als Museumsdirektorin? Wenn ich die historischen Outfits und Frisuren weglasse, werden mir die Gesichter ganz und gar heutig. Passend in alle Bevölkerungsschichten.

Haben wir Erdlinge uns über hunderte von Jahren nicht wirklich verändert? Ist, was wir ausstrahlen, eine Konstante des Menschseins? Ist die (wissenschaftlich nicht vorhandene) Seele ein Leben lang immer wieder auf dem gleichen Entwicklungsweg? Obwohl sich das Drumherum so sehr verändert hat?

Wir entwickeln uns nicht mehr oder kaum noch an Verboten und Geboten entlang, die uns zügeln. Wo finden wir Herausforderungen, die nicht nur unser Wissen wachsen lassen? Sondern uns Menschen über uns hinaus – im besten Fall.

Dann müsste sich vielleicht nicht alles wiederholen. Was wir derzeit erleben, es ist doch nichts anderes als das, was uns Geschichtsdokus permanent vor Augen führen. Immer und immer wieder Hass, Krieg, Verrat, Machtgelueste, Vernichtung… Und auch: Dazwischen, zuvor und danach Genuss bis zum Überdruss.

Was für eine Spezis sind wir eigentlich? Müssen wir uns wieder und wieder gegenseitig umbringen, bevor wir den göttlichen Funken in uns gefunden haben?

Ich glaube immer noch, dass er in den zwölf Tugenden verborgen ist. Zum ersten Mal festgeschrieben im frühen Mittelalter. Und hochaktuell bis heute. Sie sollten zur Staatsdoktrin werden, erst mal…

Gesichter in der Gemäldegalerie

Ostwestlich (17) – heute wird‘s länger

Ich bin wieder bei mir, bei meinen Gedanken angekommen. Im Radio geht‘s um die Oskar-Nominierungen. Ein Gespräch mit dem Regisseur vom nominierten „Lehrerzimmer“. Er ist glücklich und gleichzeitig verstört. Während Wim Wenders und Sandra Hüller überall benannt werden – sehr zurecht wie er sich verehrend bekennt – taucht sein Name nirgendwo auf. Er erlebt Rassismus im weitesten Sinne. Als Enkel türkischer Migranten, Analphabeten die Großeltern, ist er sehr stolz, es soweit gebracht zu haben. Doch wer kennt den Namen des Regisseurs Ilker Catak? Ich nicht, ich muß erst googeln. Wahrscheinlich die meisten von uns. Ich finde auf der Tastur nicht mal das Häkchen, das unters C von Catak gehört. Soweit und nicht gut.

Und schon bin ich wieder im eigenen Gedanken-Karussell. Jetzt, wo das Wort Rassismus so häufig in aller Munde ist, habe ich immer öfter den Gedanken, dass das, was ich stets und ständig erlebe, auch Rassismus ist. Deutsch-deutscher Rassismus. Ich erlebe die ständige Ignoranz der anderen Geschichte, die oft sehr einseitig auf politisch/gesellschaftlicher Ebene als grobe Verfehlung und als kriminell dargestellt wird. Auch in dieser Hinsicht leben in mir mehr Fragen als Antworten.

Doch es gibt ja auch noch eine soziale und persönliche Ebene. Genau dort kommt das Wort Rassismus bei mir ins Spiel. Das andere Leben, dass allzu oft mit einem mitleidigen Lächeln abgetan wird.

Beispiele? Zwei aus den letzten Tagen. Eine sympathische RBB-Reporterin ist in Berlin-Marzahn unterwegs. Flapsig-munter erzählt sie ständig von Plattenbauten und der Platte in unterschiedlichsten Kontexten. Schließlich finden wir uns mit ihr in einer solchen Wohnung wieder. Die ebenfalls sympathische Frau hat mit ihrem Mann genau in dieser Wohnung vier Kinder erfolgreich auf den Weg in die große weite Welt gebracht. Mir geht das Herz auf, als sie sich plötzlich beim Stichwort „Platte“ freundlich bestimmt gegen das üblich Abwertende in diesem gebräuchlichen Begriff verwahrt. Sie seien glücklich gewesen, als sie endlich in eine großzügige Wohnung, fernbeheizt, mit Balkon einziehen konnten. Sie lebe bis heute gern in Marzahn.

Mal abgesehen davon, dass das damalige soziale Marzahn mit dem heutigen nur bedingt vergleichbar ist. Es könnte sein, wenn es nicht schon so ist, dass die Wohnungen in der „Platte“ wieder sehr begehrt sein werden. Denn Wohnen in Berlin ist nicht mehr bezahlbar.

Das andere Beispiel ist meine eigene Geschichte. Eine schöne bezahlbare Wohnung, eher etwas zu groß als zu klein, das ist ein Thema, das mich seit meinem 18. Lebenjahr mit hartnäckiger Penetranz verfolgt. Es hat immer unglaublich Kraft und Durchhaltevermögen gekostet bis die Probleme gelöst waren. Ich dachte schon, dass es jetzt ausgestanden ist. Nun hat es mich nach 20 Jahren wohliger Ruhe wieder eingeholt. Vernichtend eingeholt.

Erstens sind Wohnungen schlechthin wieder Luxusgut geworden. Klein, eng, und trotzdem noch unbezahlbar. 1500 Euro warm für zwei Zimmer von insgesamt 55 Quadratmetern. Was an Wohnungen in dieser Größe unter 1000 Euro warm veranschlagt wird, das ist rar und heiß begehrt. Besichtigungen mit größeren Personengruppen. Am Ende höfliche Absagen. Klar bei einer Wohnung und zwanzig bis 100 Bewerbern.

Aber, ich war beim deutsch-deutschen Rassismus, ich muß wahrscheinlich sagen verstecktem Rassismus. Eine Dame in edles Leder gehüllt von einem Unternehmen in Bochum erklärt mir, dass mein Einkommen um 1000 Euro höher sein müsste, um diese nette kleine Wohnung im abgelegenen Neubaugebiet (nicht Marzahn) in einer ostdeutschen Großstadt zu bekommen. Die nächste Vermieterin in ähnlicher Konstellation erklärt mir, dass es halt noch genug Menschen gäbe, die diese Miete bezahlen könnten und würden. Ich habe nicht die schlechteste Rente. Aber eine, die überwiegend im Osten mit anderem Einkommen, sprich deutlich niedrigerem als im Westen, erarbeitet wurde.

Ich glaube schon, dass ich rechnen und mit Geld umgehen kann. Doch das nützt mir gar nichts, weil der Staat oder was weiß ich festgelegt hat, dass die Miete nicht höher als 40 Prozent des Nettoeinkommens sein darf. Meine persönliche Gewißheit, dass ich die Miete bis zu einer bestimmten Höhe zahlen kann, interessiert niemanden. Auch nicht, dass meine Bedürfnisse im Alter andere sind als bei Jüngeren. Und dass der geschützte Raum einer Wohnung existentieller ist als in jüngeren Jahren. Nichts dergleichen zählt. Auch nicht die drei Kinder und jahrzehntelange Berufstätigkeit. Freilich ist das nicht nur ein Ostproblem. Nur wer einen größeren Teil seines Lebens im Osten Deutschlands verbracht hat, ist von dieser gesamtdeutschen Misere viel häufiger betroffen. Außerdem fehlen diesem Teil der Gesellschaft meist Rücklagen und Erbschaften aller Art, mit denen sich noch manches ausgleichen lässt.

Fazit: Das Diskriminierende, Rassistische hat viele Nuancen und ist oft sehr versteckt. Meine Gefühle dürften, wenn auch anderer Herkunft, nicht so unähnlich denen von Ilker Catak sein.

Wohn(Alp)Träume

Unbehaust

Bei allen Brüchen, Verunsicherungen, Herausforderungen – ich habe mich in mehr als sieben Jahrzehnten nie so unbehaust gefühlt wie in diesen Monaten. Es wackelt und crashed. In der großen, kleinen Welt da draußen und in meinem Leben. Spiegelbilder?

Das Einzige, dessen ich mir gewiss bin, ist, dass ich innere Arbeit leisten muss und auch will. Wenn Instabilität sich Drumherum stabilisiert, gerät das zu einer gewaltigen Anstrengung. Die innere Sicherheit und Stabilität will hart errungen werden. Mein Pech, dass mein irdisches Sein überschaubar geworden ist. Ich habe keinen riesengroßen Rucksack Zeit mehr, um an dieser Herausforderung zu arbeiten. Mein Glück: Die vielen gelebten Jahre machen es wahrscheinlich überhaupt erst möglich, diesen einsamen Weg in aller Konsequenz zu gehen.

Was auf diesem Pfad noch geschieht, ich werde sehen. Noch bin ich nicht sonderlich neugierig darauf. Wie gesagt, es crashed und wackelt rundum. Unbehaust sein, das bleibt mehr als ein Gefühl.

Brüchiges Eis – und schön alt der Baum, der Weg dahin lässt sich ahnen

Einfach nur (Winter)Stille

Der Bahnstreik hat genervt. Aber nicht nur. Er hat mehrfach meine Kreativität herausgefordert. Und das wiederum hat Spaß gemacht.

Zum Beispiel die Rätselaufgabe: Wie komme ich ohne Auto, S-Bahn oder Regionalbahn von Berlin nach Potsdam?

Ab und zu fuhr eine Regionalbahn, war mir zu unsicher. Schließlich wartete der Erstklässler in der Schule.

Eine etwas aufwändige Busverbindung war mir vertraut. Aber mit einem Haken. Eine Umsteige-Verbindung bei der der zweite Bus nur einmal in der Stunde fährt. Das ging dann auch von Anfang an schief. Weil der Erste gleich zweimal ausfiel.

Während des Wartens und Grübelns kommt mein Lieblingsbus, die Havellinie. Kurz entschlossen steige ich ein. Die Hoffnung war, am Wannsee eine Potsdamverbindung zu finden. Während ich im Bus noch mit dem Fahrer diskutiere und google, da klingelt das Telefon. Ich könne mir Zeit lassen weil das Kind erst noch sein Mittagessen genießen soll. Okay!

In dem Moment werde ich übermütig und beschließe durchzufahren. Endstelle Pfaueninsel.

Draußen feiner Nieselregen. Kein Problem dank der Wolljacke. Und ich bekomme, nun sei der streikenden Bahn Dank, viereinhalb Kilometer Winterwald und Havel ganz für mich allein geschenkt. Wirklich ganz allein. Himmlische Ruhe und bezaubernde winterliche Durch- und Ausblicke. Dunst und Nebel können so schön sein! Ein Bussard ( oder Sperber) gesellt sich zu mir und fliegt in 100-Meter-Abschnitten voraus bis zur Glienicker Brücke.

Dort wartet schon die Straßenbahn. Ich habe viel Zeit zum Ausruhen von Endstelle zu Endstelle. Und zur Vorfreude auf den wilden Knaben. Ritterburg-Spiel und Fussballtraining beschließen den Tag.

Fazit: Der Streik hat mir einen spielerisch schönen Tag beschert, durchgängig.

Impressionen

Holperig

Was für ein Wort! Ich spüre förmlich die Steine, die Stolpersteine. Mal rund, mal – noch unangenehmer – spitz. Kein Weg, um in Gedanken zu versinken, gleich gar nicht zum Träumen. Ich muss aufpassen, mich in Acht nehmen oder einfach nur aufmerksam sein.

Das Jahr hat für mich ziemlich holperig begonnen. Das Gestolpere durch die Welt lässt mich nur schwerlich bei mir sein. Das Bei-Mir-Sein muss ich mir stets von Neuem erringen.

Draußen war mehrmals Glatteis. Ausrutschen statt stolpern. Eigentlich das Gegegenteil. Der Effekt ist ähnlich: Wenn ich nicht konzentriert genug bin, also bei mir bin, dann falle ich auf die Nase. Das tut weh und kann ziemlich nachhaltige Folgen haben.

Letztlich birgt dieses Geholpere (Das Wort muss man sich einfach mal auf der Zunge zergehen lassen!), auch eine Chance aufzuwachen. Nicht weiter im vertrauten Strom schwimmen. Das kostet Kraft und Anstrengung. Die Belohnung: Neue Sichten, neue Fähigkeiten – im besten Fall. Doch dazu muss ich wach genug sein. Und nicht nur froh sein, alles einigermaßen unversehrt überstanden zu haben.

Letztlich muß ich tiefer blicken. Holprige Wege verweisen auf Erosionen unterhalb, unter den nicht mehr glatten Decken. Im Persönlichen wie im Großen Ganzen.

Diese, meine, unsere große Welt ist inzwischen nicht mehr nur holperig. Ich erlebe sie inzwischen als ziemlich eruptiv. Gefährlich eruptiv. Wird es gelingen, die Aufwach-Chance zu nutzen? Wird es gelingen, neu zu ordnen, Positionen wirklich zu klären…

Meine Holperwege sind wie die Asphaltbeläge nach Eis und Schnee: Es ist zu ahnen, was drunter passiert sein könnte. Und ich hoffe, dass es nicht allzu schlimm ist. Wieder ein Stück Flickenteppich oder Grunderneuerung…?

Wintersonne und lange Schatten

Ostwestlich (16) Störfelder

Wir reden miteinander. Und wir reden aneinander vorbei. Im besten Fall merken wir es. Oder eben auch nicht. Das wahrscheinlich häufiger. Bei der Ost-West-Begegnung habe ich den Eindruck, dass das Aneinandervorbei sehr häufig passiert. Ich erlebe Stoerfelder, die eher im Unterbewussten ihr Unwesen treiben.

Jede(r) hat da so seine Strategie damit umzugehen. Vorausgesetzt ich bin mir dieser Problematik bewusst. Im Westen Deutschlands scheint mir das eher selten der Fall zu sein. Wenn Störungen auftreten, wird meist in die große Kiste der geläufigen Ostvorurteile gegriffen. Da gibt es, scheint mir, immer etwas Passendes. “Man” weiß ja Bescheid.

Im Osten des Landes ist es mit der Bewusstheit für das Problem des Aneinander-Vorbeiredens auch nicht viel besser. Schließlich sind wir schon mehr als 30 Jahre ein Volk. “Nun hör doch endlich auf damit!”

Nein, ich will nicht damit aufhören. Nein, weil meine Sehnsucht nach einem wirklichen Miteinanderreden – und einem verständnisvollem Verstehen zu groß ist.

Wir haben 40 Jahre in grundverschiedenen sozialen Systemen gelebt. Der Umgang im sozialen Umfeld war sehr verschieden. Das soziale Verständnis auch. Frauen hatten im Osten selbstverständlich alle Freiheiten, die sicher im Umsetzen auch nicht immer gelungen waren. Wir hatten sie Jahrzehnte früher als der Westen. Wer so aufgewachsen ist, agiert anders in der Welt. Nur so, zum Beispiel. Standesdünkel gab es auch im Osten. Aber überhaupt nicht vergleichbar mit dem in der westlichen Welt. Wir bringen alle unsere eingeübten Verhaltensweisen mit. Sie sind oft sehr verschieden.

Nur zwei Beispiele, die Aufzählung lässt sich endlos fortsetzen. Gerade beidseits in den Familien wurden andere Werte vermittelt, gelebt – weil eben auch das Umfeld ein anderes war.

Ein intensiveres ehrliches darüber Austauschen, wie wir gelebt haben, wie Alltag war, halte ich für wichtig – möglichst vorurteilsfrei. Das könnte das Miteinanderreden erst wirklich ermöglichen.

Wäre doch eine feine Sache…finde ich. Mein Wort zum Sonntag und zum Neuen Jahr. Ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Wenn wenigstens ein Prozess dieser Art in Gang kommen würde…

Auf ein Neues (Miteinander) in 2024!

Neue Weiblichkeit…

…oder Gendern mal anders.

Der Siebenjährige erzählt vom nachweihnachtlichen Familienbesuch bei einer befreundeten Familie. Er habe bis in die Nacht hinein mit Amali gespielt. “Und dann hat sie mich geküsst. Ich habe mich bei Mama beschwert!” Er möge das nicht, erklärt er. Ich lache laut – nein, natürlich nur nach Innen.

Stunden später. Gespräch mit dem Erstklässler über die Schule. “Hort ist besser, da kann ich richtig spielen.” Aber ansonsten sei es okay, etwas zu lernen. Rechnen sei gut. Ich bin neugierig: “Wer sitzt eigentlich neben dir?” “Minka.” “Versteht ihr euch?” “Na ja.” Die Jungsfreunde kenne ich ziemlich gut. Zumindest vom Erzählen. Also frage ich, welche Mädchen er nett findet. “Sonia, Carina – aber die wollte mich auch schon küssen. Emilia und Luise.” Kurze nachdenkliche Pause. Die wollten auch schon küssen. “Na sag mal, was ist denn da los…”

In schöner sachlicher Nebensaechlichkeit wird ein wenig später eine Erklärung nachgereicht: “Die finden mich eben alle süß.”

Der Glueckliche…

Dann geht es wieder um Wesentliches. Um Ritter, Kämpfen und Fußball. Um Kuno, Dario und Albert.*

So ein Jungritter hat es nicht leicht.

(*Die Vornamen sind frei verwandelt.)

Ritterburgleben, die Schlachten werden links oben geschlagen

Nass statt weiß

Kurzer Anlauf, Sprung, platsch – es spritzt weitläufig ringsherum, einen langen Weg entlang. Meine Rettungsversuche gelingen nicht immer.

Ein kleiner Teich reiht sich an den anderen. Die Kinder sind glücklich, übermütig, voller Erwartung. Wir schreiben den 24.12.2023. Der Juengere gibt sich aufgeklärt. Er beschreibt sachlich den weihnachtlichen Vorgang. Während die Aeltere, ihn zurechtweisend, das Christkind bemüht.

Stunden später liegen sie beglückt, beschenkt und erschöpft in meinen Armen und lassen sich die Geschichte der “Alten Frau” erzählen. Sie lauschen, der Beschreibung wie diese Weihnachten erlebt. Es dauert nicht lange und sie rufen “Aber, das bist ja Du”. Unerwartet schlafen sie kurz danach auf der Stelle ein.

Ich lasse die Bilder des Tages noch einmal an mir vorüberziehen, während im Weihnachtszimmer das Kindlein in die Krippe gelegt wird.

Jetzt ist Weihnachten. Und ich versuche inmitten zweier raumgreifender Kinder und gefühlten 100 Kuscheltieren in den Schlaf zu finden. Die heilige Nacht 2023.