Kuckucksrufe, Nachtigallentöne, üppiges sattes Grün und immer wieder kalter Ostwind. Dieser Mai gibt sich verhalten. Die Lust an dieser Jahreszeit will sich nicht so recht einstellen. Alles fühlt sich zwiespältig an. Corona zieht sich zurück und doch ist sie bei jedem Schritt nach draußen allgegenwärtig. Maskenmenschen. Abstandsdenken. Einfach nur vernünftig? Oder eher gut angepasst? Was für mich deutlich wird: Die nächsten Schritte in dieser eigenartigen Zeit müssten schnell immer mehr individualisiert werden. Das würde es nicht leichter machen, aber lebbarer. Wenn auch: Klare Ansagen von oben sind einfacher zu überschauen. Meine Wunschvariante, individuelle verantwortungsvolle Lösungen, erfordert recht intensives Mitdenken und eine sehr persönliche Entscheidungsfreude. No risk geht sowieso nicht, nie. Das Leben bleibt riskant. Doch so wie es jetzt stattfindet ist es schonend ausgedrückt ungemütlich.
Für die großen Visionen ist die Zeit sicher noch nicht reif. Aber vielleicht ist den letzten Wochen so etwas wie Humus entstanden, der gute Kräfte und neues Wachstum ermöglicht.
Ich frage mich gerade, wie ich mir die Großstadt wünschen würde.
Ich genieße es jetzt noch, entspannt durch die Mitten von Berlin zu bummeln. Dem vielen interessanten Alten, ja faszinierenden in Gestalt von Bauwerken zu begegnen. Ich genieße viele ruhige Momente zum Schauen, zum Erleben auf leeren Straßen. Die Natur hat sich Raum genommen. Die riesigen Bäume betten ein, was vor so etwa 200 Jahren plus/minus auf dem sandigen Boden verewigt wurde. Dom und Lustgarten, die Museen, die Humboldt-Universität … Zwischendurch die Spree… uralt alles und doch irgendwie lebendig. Altneu das Schloß, das mit einer kupfernen Kuppel für sich wirbt. Da war mal der Palast der Republik…
Was haben wir dem Alten an Beständigem hinzuzufügen? Das neue Berliner Regierungsviertel aus einer ganz neuen deutschen Zeit mit dem Kanzler-„Bunker“. Für mich hat es eine freundliche Leichte. Doch ist das alles? Die Menschheit heute, müsste doch auch etwas mehr Sichtbares hinterlassen. Oder ist es das eher Unsichtbare: Zum Beispiel die sozialen Grenzen, die nie so fließend waren wie heute. Mehr oder weniger Sicherheit für die meisten. Ein fürsorglicher Staat, der nicht perfekt ist, aber vieles ermöglicht. Da ginge bestimmt noch mehr, zum Beispiel mit einem Grundeinkommen…ein Weg zu mehr Freiheit.
Aber ich würde mir in einer künftigen Stadt auch neue, inspirierende Bauten wünschen, die die Generationen überleben. Weniger klein, klein, aber dafür viele offene Innen- und Außenräume an schönen Plätzen, wo Menschen sich begegnen und gar nicht anders können als miteinander zu reden. Architekten, die ihre Ideen zur Freude aller verwirklichen dürfen, das wünschte ich mir. Noch mehr Grün und Orte drin und draußen, die zum Verweilen und zur Ruhe einladen. Es darf überall Theater gespielt werden, getanzt, gesungen werden, ganz selbstverständlich…nur das allgegenwärtige laute Kreischen darf für mich gern wegbleiben. Und die eskalierenden Touristenströme. Ja, es ist schön, wenn Menschen sich auf den Weg machen, um andere Welten zu erkunden. Doch mit dem Foto-Apparat von einem Highlight zum anderen, fast schon zu rennen, in großen Gruppen… Auch dann ist es ungemütlich in der großen Stadt. Alternativen fallen mir kaum ein. Vielleicht die Idee des Mitwohnens weiter ausleben. Da wäre Begegnung von selbst dabei und jeder Gastgeber ein persönlicher Guide. Die Autos aus den Innenstädten verbannen, auch all die E-Bikes… Der Mensch hat Füsse zum Laufen, die ein beruhigtes Zeitmaß ermöglichen zum Sehen und Wahrnehmen und wirklich erleben.
Leider hat Corona gezeigt, wie schön sich eine gewaltsam beruhigte Stadt anfühlt. So wird und so kann es nicht weitergehen. Oder doch nicht leider? Schon nicht mehr bekannte Qualitäten sind sichtbar geworden. Jetzt wünschte ich mir eine inspirierte Politik mit einem schöpferischen Gestaltungswillen, der sich nicht immer wieder im Kleinklein verliert. So dass eine wunderschöne Stadt gedeihen kann, auf die ihre Bewohner zurecht stolz sind. Es können doch nicht nur die sanierten und rekonstruierten Hinterlassenschaften der Preußen sein, auf die wir und unsere Nachkommen sich beziehen. Ach bitte, macht doch was aus diesen vielen schönen kleinen Pflänzchen, die da auf Altpreußens Boden vorsichtig sprießen. Bitte denkt an die Zukunft und bitte auch ein, zwei, drei Nummern größer! Wenn diese Gabe Corona uns bereitet hätte… Sozusagen Krankheitsgewinn.
Um das Ganze heute abzurunden: Überall in der Stadt laden Poster in die nun endlich geöffnete Hannah-Arendt-Ausstellung ein. Das Motto auf den Plakaten: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen“. Doch das ist ein Thema fürs nächste Mal.
Der Weg ins Deutsche Historische Museum lohnt sich. Eine gut und eindringlich, nicht aufdringlich, erzählte Biografie, die Erleben lässt, wie Sätze wie dieser auf dem Poster zustande kommen…
Berlin, Berlin in diesen Tagen