Das Wort ‚horchen‘ gefällt mir. Es hat einen Wohlklang in meinen Ohren. Es ist lauschig und ein bißchen geheimnisvoll. Es bietet Nähe an und hat etwas Vorsichtiges, ganz in der Nähe von Tasten.
Das Wort ‚gehorchen‘ mag ich gar nicht. Es spukt seit der Hannah-Arendt-Ausstellung in meinen Kopf herum. „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen“ ruft das Plakat in die Welt. Was machen diese zwei Buchstaben g und e gleich ‚ge‘ nur aus meinem Wohlfühlwort?
Gefangen, getragen, gesagt, gemacht, gehorchen – dieses ‚ge‘ verändert vom aktiven zum passiven Zustand. Es vollendet Fließendes und bringt es in eine vollendete Tatsache. Mit dem Horchen zusammen gerät es sogar in den Imperativ, wird zum Befehl. Huh…
Aber: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen“, das heißt doch ich darf nicht gehorchen. Stimmt das denn? Ich rätsele.
Dieser herausfordernde Satz ist, mit großer Wahrscheinlichkeit, aus dem Kontext von H.A.s intensiver Auseinandersetzung mit dem Radikal-Bösen entstanden. Sie, die Jüdin, die in die USA emigrieren musste und sich retten konnte und trotzdem von den schauerlichen Berichten aus Deutschland gnadenlos eingeholt wurde. Sie, die den Eichmann-Prozess im Jahr 1961 als amerikanische Korrespondentin begleitete und sich mit dem „Radikal Bösem“ in ihrem Lebenswerk auseinandersetzt. Zu diesem Gehorchen-Satz dürfte das Argument der Massenmörder, die sich darauf beriefen, dass sie nur Befehle ausgeführt haben, dass sie also gehorchen mussten, geführt haben.
Nur, wie ist das mit dem Gehorchen heute. Ist Ungehorsam die höchste Tugend? Ich weiß nicht so recht.
Müssen Kinder gehorchen? Ich glaube nur dann, wenn es um ihre physische Sicherheit geht, in den Zeiten, wo sie beginnen, die Welt zu erkunden. Ansonsten neige ich zu einem radikalen NEIN. Sowohl in der Familie, als auch in der Schule. Sie sollen eigenständige Persönlichkeiten werden. Das geht nicht mit Gehorsam. Das geht nur mit Fragenlernen, mit Hinterfragen, mit in Frage stellen. Schon allein das bewegt sich dicht am Ungehorsam oder ist es auch oft. Und dann kommt noch der eigene Wille dazu, der häufig so gar nicht mit dem der Eltern übereinstimmt. Doch dieser Eigenwille will geübt werden, ist lebensnotwendig für einen Heranwachsenden. Nicht erst in der Pubertät. Das ist anstrengend. Für Eltern und Kinder.
Also: Es lebe der Ungehorsam! Geht das?
Ich möchte Heranwachsenden schon gern meine moralischen Wertvorstellungen vermitteln, sie aber nicht indoktrinieren. Ich bin mir sicher, dass das der sicherste Weg zum Misserfolg wäre. Über alles reden, diskutieren, immer wieder, ja. Aber ansonsten muss jeder Mensch sich eine gute, tragfähige Moralität auf seinem eigenen einzigartigen Lebensweg erringen. Gehorchen taugt einfach nicht für das Wachstum innerer Werte. Und die brauche ich dringend, um in den Stürmen des Lebens bestehen zu können. Eigenwille und Ungehorsam lassen sich, glaube ich, nicht so ohne weiteres auseinander dividieren.
Und dann ist der Mensch erwachsen. Er muss sich zwangsläufig in verschiedene soziale Systeme integrieren. Heisst das nicht, dass er dann auch zwangsläufig gehorchen muss? Ich glaube, wenn ich unreflektiert dem folge, was mein Ausbilder, mein Arbeitgeber, was die Menschen, die Politik gestalten, was meine Mitmenschen denken und verordnen, dann gehorche ich. Aber: Ich kann aus eigener Überzeugung dazu ja sagen oder mich diplomatisch durchhangeln. Oder ich kann ungehorsam sein – nicht gehorchen, weil das, was gefordert wird meine eigenen Grenzen überschreitet.
Okay, nun habe ich eine eigene Meinung, die nicht unbedingt konform ist. Aber: Ich muss meinen Arbeitsplatz behalten, ich möchte etwas lernen und kann es letztlich nur in dem bestehenden System. Ich möchte auch von den Menschen um mich herum gemocht werden. Ungehorsam kann schnell ungemütlich werden, wenn ich anderer Meinung bin als die Menschen um mich herum. Also ordne ich mich dochein und gehorche demzufolge. Aber nach dem Hannah-Ahrendt-Satz habe ich kein Recht zu gehorchen. Aufständig im Inneren und Gehorsam im Aussen? Das fühlt sich nicht gut an.
Ergo: Leben im vollen Bewusstsein des risikovollen Ungehorsams?
Wo ist die Wahrheit?
Wenn ich mir treu bleiben will, geht das nur, wenn ich meine Grenzen genau definieren kann. Das muss ich üben. Und ich muss gelernt haben, moralisch zu denken und zu handeln. Das beginnt in der frühesten Kindheit. Und nicht, indem ich gelernt habe mich zu fügen, um Vorteile einzuheimsen – also gehorsam zu sein. Auf mich horchen – und horchen, was die anderen brauchen, dann könnte vielleicht, zumindest partiell, das Brutale im Wort Gehorchen erlöst werden. Oder sich zumindest in einen konstruktiven Ungehorsam verwandeln – was meist Mut erfordert. Mindestens ein bißchen…oft mehr.

Schattenbilder
oder
Ich selbst?
Stark wie ein Baum…
Zur Ergänzung: Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen ´muss nicht identisch sein mit- „ich darf nicht gehorchen“, sondern bedeutet m.E.: ich habe kein RECHT zu gehorchen, ich kann mich nicht auf ein „Recht zu gehorchen“ beziehen und mich damit der Verantwortung für die Tat entziehen. Hannah Arendt schreibt zu „Befehl-Gehorsam: Macht liegt nicht im Befehlenden und nicht im Befehl, sondern entspringt dadurch, dass der Befehl ein Zusammen und damit das Zwischen, wo Macht entspringt, stiftet.“
Der Gehorchende begründet die Macht des Befehls mit, würde ich hier vereinfacht sagen und daher bin ich als Folgender, bzw. Gehorchender auch verantwortlich. Hier geht es darum, dass viele der Täter sich vor Gericht ihrer Mitschuld damit entledigen wollten, dass sie behaupteten, `sie hätten gehorchen müssen und hätten damit etwas dem Recht entsprechendes getan.
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