Ich habe eine arme kleine achtjährige weibliche Seele zum Fußball verführt. Ganz ehrlich, das hatte ich nicht vor und ich war erschüttert – wie das geschah und was da geschah..
Es muß so Ende Juni gewesen sein. Die Fußball-EM war im vollen Gange und es bestand noch ein wenig Hoffnung für Deutschland. Mich faszinierte der Gedanke an ein Spiel England gegen Deutschland im Londoner Wembley-Stadion. Bei mir brach in diesem Moment eine eigentlich nicht vorhandene Leidenschaft durch. Das Spiel wollte ich sehen. Ich mußte dieses Spiel sehen. Nur, das achtjährige Enkelkind an meiner Seite spielte hingebungsvoll in ihrer Playmobil-Welt. Fernsehen ist für sie prinzipiell tabu. Ich im Gewissenskonflikt. Wie gesagt, ich musste es sehen. Also beschloss ich der Wahrheit die Ehre zu geben und habe ihr erzählt was ich vorhabe und warum.
Das Kind blieb cool und beruhigte mich: „Wenn’s langweilig ist, kann ich ja weiter spielen.“ Ich hoffte auf langweilig und war beruhigt.
Als nächstes war Sofa-Kuscheln mit Plüschtier-Panda angesagt. Und das Spiel ging los und die Fragen auch – bis zum leider traurigen deutschen Ende.
„Welche sind Unsere? Wo ist unser Tor?“ Das war ja noch einfach.
„War das eine Ecke?“ Woher kannte sie das Wort nur?
„Wer ist das da?“ „Der Trainer“. „Der gefällt mir, wie heißt er?“ Und wie heißt der jetzt? Der Torwart gefällt mir auch!“
Unser Gespräch ging weiter: „Die spielen ja nur vor unserem Tor!“ “ Ja, leider!“
Das Kind geriet immer mehr in Begeisterung und fieberte mit.
Wir fieberten mit. Die Spielregelfragen überforderten mich allmählich. Von Langeweile war keine Rede mehr.
Am Ende war das Spiel gnadenlos verloren. Doch wir beide hatten ein ziemlich intensives Erlebnis.
Dabei kam heraus, dass mehrere ihrer engen Freunde Fußball spielen und sie auch schon im Tor stehen durfte. Einige Spielernamen waren ihr durchaus geläufig. Später zeigte sie mir Sticker mit den Fotos.
Doch die Geschichte erfuhr eine Fortsetzung, sozusagen ihre Krönung.
Am nächsten Tag koche ich für uns Mittagessen. Das Kind sitzt dabei am Tisch und malt – dachte ich. „Ich habe Jogi Löw einen Brief geschrieben!“ Aha, Oho – Schrift und Bild alles sehr sorgfältig gestaltet. So etwas wie eine Liebeserklärung. Aber ihre anderen Favoriten werden auch benannt. „Wo kann ich den hinschicken?“ „Ich kenne keine Adresse und weiß nur, dass er auch eine Wohnung in Berlin hat.“ Verzweifeltes Schweigen. „Man könnte ja Jogi Löw und Berlin drauf schreiben, die Post ist manchmal ganz schön findig“, sage ich. „Hast du einen Umschlag und eine Briefmarke?“ Hatte ich.
Allen Risiken zum Trotz, war die Hoffnung, nein ist die Hoffnung bis heute groß, vielleicht doch noch eine Antwort zu bekommen.
Und ich bin bis heute verblüfft, was aus dem Untergrund meines leidenschaftlichen verspielten Playmobil-Enkelkindes so ganz plötzlich auftauchte. Es brauchte offenbar nur einen winzigen Stups, um zu Tage befördert zu werden.
Sie geht auf die Neun zu. Übergänge. Rubikon. Da bleibt bald nichts mehr wie es ist. Auch Udo Jürgens hat sich inzwischen einen Spitzenplatz erobert. „Ich war noch niemals in New York“ wurde zur Melodie unserer Sommertage.
Und ich habe gebeichtet. Erst jetzt.
Ich musste es tun. Ich meine: Das alles aufschreiben.
