Ich beginne, wo ich jüngst aufgehört habe. Mit dem Satz, der für die Hannah-Arendt-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum unter den Linden wirbt: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen“. Das ist ein Satz, der mit Sicherheit aus dem Kontext ihrer intensiven Auseinandersetzung mit dem Radikal-Bösen, auf dem Hintergrund ihrer persönlichen Erlebnisse mit dem 3. Reich entstanden ist. Sie, die Jüdin, die in die USA emigrieren musste. Eventuell besser: ihr war es vergönnt zu fliehen und sie konnte sich auf abenteuerliche Weise retten. Sie, die den Eichmann-Prozess im Jahr 1961 als amerikanische Korrespondentin begleitete und sich mit dem „Radikal Bösem“ in ihrem Lebenswerk auseinander setzt, sie die ihre Laufbahn mit einer Rahel-Varnhagen-Biografie begann. Varnhagen, eine Jüdin im Mittelpunkt der Berliner gebildeten Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, die als assimiliert und integriert galt. Genau das recherchiert und hinterfragt Hannah Arendt .
Ich möchte mir nur mal diesen einen Satz stehlen und ihn loslösen aus seinem Kontext. Er macht mich, je öfter ich mit ihm umgehe, geradezu kribbelt: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen“. Wie ist das mit dem Gehorchen?
Müssen Kinder gehorchen? Ich glaube nur dann, wenn es um ihre physische Sicherheit geht, wenn sie beginnen, die Welt zu erkunden. Ansonsten neige ich zu einem radikalen NEIN. Weder in der Familie, noch in der Schule. Sie sollen doch eigenständige Persönlichkeiten werden. Das geht nicht mit Gehorsam. Das geht nur mit Fragen lernen, mit Hinterfragen, mit in Frage stellen. Schon allein das bewegt sich dicht am Ungehorsam oder ist es auch oft.
Ich möchte Heranwachsenden schon gern meine moralischen Wertvorstellungen vermitteln, sie aber nicht indoktrinieren. Ich bin mir sicher, dass das der sicherste Weg zum Misserfolg wäre. Darüber reden, diskutieren, immer wieder, ja. Aber ansonsten muss jeder Mensch sich eine gute, tragfähige Moralität auf seinem Lebensweg erringen. Gehorchen taugt einfach nicht für das Wachstum innerer Werte. Und die brauchen wir dringend, um in den Stürmen des Lebens bestehen zu können.
Und dann ist der Mensch erwachsen. Er muss sich zwangsläufig in verschiedene soziale Systeme integrieren. Heisst das nicht zwangsläufig auch gehorchen? Ich glaube, wenn ich unreflektiert dem folge, was mein Ausbilder, mein Arbeitgeber, was die Menschen, die Politik gestalten, verordnen, dann gehorche ich.
Okay, ich habe aber eine eigene Meinung, die nicht unbedingt konform ist. Doch muss ich meinen Arbeitsplatz behalten, ich möchte etwas lernen und kann es letztlich meist nur in dem bestehenden System. Also ordne ich mich ein und gehorche demzufolge. Aber nach dem Hannah-Ahrendt-Satz habe ich kein Recht zu gehorchen. Ausständig im Inneren und gehorsam im Aussen als Lösungsweg?
Wo ist die Wahrheit? Da fällt mir noch das Wort Zvilcourage ein… Irgendwo dort vielleicht, wenn es um Ungehorsam geht. Doch dazu muss ich zwingend selber denken und nicht auf bequeme Anweisungen von irgendwo oben warten. Ich muss bewusst Verantwortung übernehmen für mich zu allerst…und für meine Mitmenschen.
Demos, Transparente, die Straße lehne ich nicht ab. Aber das ist nicht mein Weg. Wenn immer mehr auf den oft wirren und schwierigen Pfaden der Vernunft mitgehen würden, wie schön, da bin ich immer dabei.
II. UNgehorsam
Gehorsame Kinder habe mich mir nie gewünscht. Vernünftige schon. Kinder, die Einsicht in gute Argumente haben und versuchen zu folgen. Na ja, das war sicher illusionär. Und dann musste immer mal das berühmte „Machtwort“ gesprochen werden: „Jetzt wird es so gemacht.“ Der Widerstand blieb und irgendwie haben wir uns aus der Situation herausgehangelt.
Die Spanne reicht halt von blindem Gehorsam, wenn z.B. Kind und Auto drohen zu kollidieren, bis zu Endlos-Diskussionen. Gegen letztere habe ich nichts, wenn wissenshungrige und belebende Fragen das Spiel bestimmen.
Dennoch: Mein Irrtum bestand darin nicht genügend zu berücksichtigen, dass Vernunft ein bestimmtes Maß an menschlicher Reife und Erfahrung voraussetzt. Daran mangelt es Kindern objektiv.
Mmmmh…
Bei Erwachsenen, dachte ich lange Zeit , ist das anders. Genau das, das war nicht ganz selten ein Irrtum, manchmal auch ein schmerzlicher. Da wurden den Gefühlen die Zügel überlassen. Die Argumentation: Ja, wir müssen doch auf unsere Gefühle hören, das ist so wichtig.
Ja, müssen wir. Nein, bitte nur im Verein mit unserem Verstand. Klar dürfen Gefühle, wie Wut und was weiß ich, auch mal spontan geäußert werden. Letztendlich haben sie aber ihre Wurzeln in uns selbst. Wir sind der Nährboden. Und wenn wir nicht mit ihnen, den Gefühlen ins Gespräch kommen, wird es meist ungemütlich – für mich und die anderen.
Erwachsener Ungehorsam sollte doch aus Gefühl und Verstand geboren werden. Sollte… Ich glaube, nur so führt er auf produktive Wege, die vielleicht auch Veränderung bewirken können.