Die Bescheidenheit ist so etwas wie meine Lieblingstugend. Ich weiß, Tugenden sind altmodisch und Bescheidenheit erst recht. Gut, dann bin ich eben gern altmodisch. Denn im Sinne der zwölf Tugenden meint Bescheidenheit etwas ziemlich anderes als wir es gemeinhin gelernt haben. Der von mir gemeinte Sprachgebrauch geht ins frühe Mittelalter zurück.
Gemeint ist nicht das Sich-Selbst-Zurücknehmen, nicht das brav im Hintergrund Ausharren bis zur Unsichtbarkeit. Das war einmal. Vor allem Mädchen wurde einst gelehrt , solch eine Haltung zu verinnerlichen.
In der Reihe der zwölf Tugenden steht Bescheidenheit an achter Stelle. Und meint etwas ganz anderes: Nämlich, zu lernen das eigene Schicksal anzunehmen, statt damit zu hadern oder es zu bekämpfen.
Was diese Art Bescheidenheit aber auch nicht meint, das ist Fatalismus, sich passiv in das Unabänderliche begeben.
Was aber dann?
Zum Beispiel:
Ich akzeptiere, was ist und beginne MEIN Leben mit dem Material, das es mir ‚rüber reicht – ‚überreicht‘ -, aktiv zu gestalten. Kreativ eben. Ich habe oft nicht, was ich gern hätte. Doch das ist schlichtweg unabänderlich.
Also fange ich mit dem, was ich habe, etwas an. Das ist alles andere als langweilig. Mit dieser Haltung kann es richtig spannend werden. Ich nehme das Leben gern als Herausforderung an. Aber keineswegs als dauerhaften Kampfplatz. Ich selbst erlebe, dass das Kämpfen eher von außen an mich herangetragen wird. Dann, wenn ich nicht das Erwartete, das Erwünschte tue, wenn ich anders reagiere als es in festgezimmerten Vorstellungen sein sollte.
Aber: Ich kann mich selbst finden in meinen Lebens-Herausforderungen, wenn ich mich ihnen immer wieder geduldig stelle. Irgendwann stehe ich dann vor etwas Neuem, manchmal einschneidend Neuem. Häufiger erscheint es eher „kleinteilig“, ist fast zu übersehen. Wenn ich dieses neu Errungene bemerke, dann freue ich mich. Ganz unbescheiden.
Immer noch altmodisch…?

