Hochgerechnet bekomme ich so etwa dreimal im Jahr einen schönen langen handgeschriebenen mehrere Seiten langen Brief. Zwei, drei Absender fallen mir dazu ein. Solch ein Brief ist ein kleines Fest. Irgendwann in einer stillen Minute wird er geöffnet. Ein gemütlicher Platz, eine Tasse Kaffee, vielleicht noch eine Kerze. Und dann beginnt das Lesen.
Ich freue mich an der so ganz besonderen Handschrift des Absenders, über die Mühe, die sie/er sich gemacht hat. Und darüber, dass da ein Mensch ist, der sein Leben und seine Gedanken mit mir teilt. Es ist wie eine wirkliche Begegnung, oft noch viel intensiver. Intensiver, da das Flüchtige des Alltags abgefallen ist. Weil ich mir die Zeit nehmen kann, die ich brauche, um Gelesenes zu verinnerlichen.
Solche Briefe verschwinden nicht in einer Cloud. Sie sind auf dem Schreibtisch noch lange Zeit anfassbar und lesbar. Und bleiben.
In einer Kellerkiste habe ich jüngst ein sorgfältig verschnürtes Bündel gefunden. Liebesbriefe. 50 Jahre und älter – natürlich handgeschrieben. Die Inhalte na ja, manchmal noch heute berührend, öfter Lächeln und Lachen provozierend. Das Bild der Briefeschreiber taucht vor meinem inneren Auge auf… Keine Ahnung, wo sie heute sind und wer sie geworden sind. Vielleicht alt, natürlich so alt wie ich selber.
In den letzten Jahren habe ich mir einen schönen Füller zugelegt, der leider auf dem noch schöneren Briefpapier kratzt. Meine guten Vorsätze habe ich vielleicht zwei-, dreimal in zwölf Monaten verwirklicht. Es ist immer wie ein Anlaufnehmen und dann oft schon in den Startlöchern hängenbleiben.
Warum eigentlich?
Ich brauche Zeit dafür, innere Ruhe, die kommt nicht von allein. Ich muss sie mir schaffen. Daran hapert es am meisten. Was sich nicht aktuell in den Vordergrund drängt, das bleibt liegen. Der Alltag fordert meist gewalttätig seinen Tribut. Und ich beuge mich. Whats App lässt grüßen.
Ich frage mich ‚Muß das so sein?‘ und ehe ich eine Antwort weiß, da hat er mich wieder in seinen Krallen, der Alltagswahn, gerade mal kurznachrichttauglich. Also kämpfen? Hmmm… Ich weiß nicht.
Auf jeden Fall nicht gegen die Chancen, die die Neuzeit-Medien bieten. Ich nutze sie auch gern. Doch bin ich auch für das Bewahrenswerte vom Alten.
Außerdem kann ich seit ehedem meine Gedanken einst mit Schreibmaschine und jetzt noch komfortabler am Bildschirm besser ordnen und formen.
Aber, es wäre doch jammerschade, wenn die Handschriften immer mehr aus unseren Alltag verschwinden. Wenn schon spätestens Fünftklässler am Bildschirm arbeiten, kommt ja jede Übung abhanden. Dabei ist es doch so spannend sich in der eigenen Schrift zu suchen und zu finden. Meine Handschrift hat sich im Laufe der Jahrzehnte mehrmals geändert. Ich kann sie ganz gut einzelnen Lebensabschnitten zuordnen. Erst sehr ordentlich, brav, schön nach rechts geneigt, später ziemlich wild, chaotisch, noch später die Suche nach einer neuen Ordnung.
Warum nicht die eingeschränkte Coronazeit zum Briefe schreiben nutzen. Mal wieder mit Füller, auf weißem Papier. Ehe wir es ganz verlernen und vergessen.
Ach, und überhaupt: Schreibt doch wenigstens Eure Liebesbriefe mit der eigenen Hand. Das wäre heute wahrscheinlich schon eine Liebeserklärung an sich. Und ich nehme an, daß Altes sich eher im Keller wiederfindet als in der überfüllten Cloud. Meinen Keller habe ich immer mal wieder, meist umzugsbedingt ausgemistet , da blieb halt nur Wesentliches erhalten.
