Lob und Widerrede der guten alten Schule

Flächendeckend Schule für alle, kostenlos und verpflichtend – das ist auch heute noch in der Mitte Europas eine große Errungenschaft. Die Startbox ins Leben, die allen Kindern zukommt. Klar, gibt es auch da Unterschiede. Denn, das, was jedes Kind von zu Hause mitbringt, das bleibt sehr unterschiedlich.

Ich bin weit davon entfernt zu meckern. Nur, das Modell in seiner Grundstruktur ist mehr als 100 Jahre alt. Innerlich und äußerlich. Auch wenn die Kinder heute vielleicht häufiger im Kreis sitzen und manches Neue dazu gekommen ist. Die digitale Revolution fing spätestens vor 30 Jahren an und wurde vor etwa 20 Jahren breitenwirksam. Und ist erst mal seeehr lange an allen Schulen vorbei gegangen. Dass es jetzt drängt und einiges allmählich in den Schulen passiert, das ist Corona, der unheimlichen grauen Eminenz, zu verdanken. Das Digitale an die Schulen zu bringen, ist für mich aber nur ein Aspekt – und pur gehandhabt auch ein nicht ungefährlicher – um Fragen an die Schule in unserer Zeit zu stellen.

Ich wünschte mir, dass die Schule allmählich ein ganz anderer Ort wird. Nach wie vor sollten die alten Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen im Grundschulalter erworben werden – und unbedingt so, dass sie im „Schlaf“ abrufbar sind. Aber dann und gleichzeitig sollte schlichtweg das Lernen gelernt werden, Neugier und Kreativität herausgefordert werden. Und: Schulen sollten es zum Hauptthema machen, gezielt soziale und moralische Fähigkeiten entwickeln zu helfen.

Das Vollstopfen mit Wissen, Wissen das spätestens nach dem Abschlußzeugnis meist im tiefen Vergessen versinkt und sehr schnell auch nicht mehr abrufbar ist, sollte ausgedient haben. Wissen ist heute schnell und unkompliziert digital abrufbar – wenn ich weiß, was ich wissen will und wie ich es finde. Das sollte gelernt werden. Und vorher: Fragen, Fragen, Fragen stellen. Neugierig sein.

Ein gutes Allgemeinwissen halte ich durchaus für wichtig. Doch es sollte von Anfang an anders erworben werden. Es müsste durch Projekte aller Art, in großen und kleinen Gruppen, oder auch einzeln erworben werden. Zum Beispiel: Wer mit anderen im Garten alles mögliche Getier beobachtet, wird schnell in einer Gruppe jede Menge Fragen und Wissen dazu zusammentragen. Daraus entstehen jede Menge neue Fragen. Der Lehrer darf beim Ordnen und Strukturieren helfen und schnell ist der Inhalt eines Lehrbuchs zusammengetragen – aktiv, selbst erlebt. Wer an einem Holzstück arbeiten darf, erwirbt nicht nur handwerkliche Fähigkeiten, sondern wird eine Menge über Baumarten und ihre Qualitäten lernen – im Tun. Die Älteren würden sich zum Beispiel mit Autos befassen und über Antriebe eine Menge begreifen, das wäre angewandte Physik und Chemie. Wenn junge Menschen nähen lernen, brauchen sie auch eine Menge Rechenfähigkeiten und Wissen über Stoffe und wo sie herkommen…und natürlich Ideen. Und immer gilt: Der Spass am Selbertun.

Die digitale Welt gehört zu unserem Leben und wird (und soll auch nicht) wieder verschwinden). Deshalb, finde ich, geht nur eines: Sie altersgerecht zu integrieren und die Gefahren kennenlernen. Wir verzichten auch nicht aufs Auto, weil wir wissen, dass immer wieder Unfälle passieren. Aber wir machen uns die Gefahren bewusst und versuchen, sie zu reduzieren. Und wir überlegen zunehmend wieviel Auto wir wirklich brauchen und merken, dass zu Fuß gehen Spaß machen kann. Analog: Auch das gedruckte Buch wird seinen Platz zurück erobern und behaupten.

Wer zehn, zwölf Jahre auf diese Weise sich lernend die Welt erobert hat, der wird mit Sicherheit eine Menge davon bleibend verinnerlicht haben. Und vielleicht richtig „Bock“ auf die Welt bekommen, in die er hineingeboren ist.

Gleichzeitig bekommt das soziale Miteinander einen ganz anderen Stellenwert und moralische Qualitäten könnten herausgefordert werden und wachsen. Später auch reflektiert werden. Nicht als Draufgabe, sondern als Essentielles einer langen Schulzeit. Schon Kinder könnten bewusst lernen, wo ihre Stärken und Schwächen liegen und nicht wertend damit umgehen, sondern damit sich selber und andere besser kennen lernen.

Kunst und Kultur wären das natürliche Elixier bei einem solchen Lernen. Die Luft, durch die das alles atmen muß. Freilich, dieses und jenes gibt es schon an unseren Schulen, Freie Schulen sind da oft einen Schritt weiter. Aber, das Lernen bleibt gefangen in einem System, einem Korsett, das längst sklerotisiert ist und das Pferd vom Schwanz aufzäumt.

Die Schule im 21. Jahrhundert sollte nicht mehr die Abiturfahne auf ihrem Dach hissen. Sondern neugierige begeisterungsfähige junge Menschen entlassen, für die Schule all die Jahre etwas im guten Sinn Aufregendes war. Menschen, die einfach Lust haben, die Welt zum Besseren zu verändern und ihren Träumen zu folgen. Es könnte allerdings sein, dass eine solche Art des Lernens für alle Beteiligten etwas anstrengender wird. Es ist zweifelsohne ein Kraftakt, der Zeit und Geduld erfordert. Einen uralten Baum kann man nicht verpflanzen. Aber es lässt sich eine Welt drumherum gestalten, die dem Heute und der Zukunft neue Möglichkeiten schafft. Der Alte darf in all seiner Schönheit bewundert werden – als Zeitgestalt.

So schön alt…
…und der Zukunft entgegen

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