„Beuys hatte ich nicht nötig“

Auch so ein Satz. Er kommt ganz nebenbei, völlig uneitel. Einfach selbstverständlich.

Es geht um ein Lebenswerk, das einer Berliner Künstlerin. Eigentlich um ein Leben.

Sie erzählt, wie sie als Studentin in der Düsseldorfer Künstlerszene in bewegter Runde neben einem Mann mit Hut sitzt. Später erfährt sie, dass es Beuys war. Ich sage erkennend ‚Aha‘, weil ich glaube an die Wurzeln ihres Werkes geraten zu sein. In diesem Kontext kommt eben dann der zitierte Satz.

Installationen, Objektkunst, viel Gewebe: erst die Mullwindeln der Kinder als Gipsobjekt -Schöpfungen aus dem „Müttergettho“. Später überdimensionale Torfmöbel – „Torf-Mobilien“, mindestens in jedem Jahrzehnt eine neue Inspiration. Auch das Preußisch Blau, u.a. mit Kachelmotiven der Sacrower Heilandskirche, gehört dazu. Kacheln, die wundersame neuzeitliche Inschriften aushalten mussten. Da begann schon ihr nachwendliches ganzheitlich deutsches Leben in der Potsdamer Panzerhalle – einem Künstlerhaus mit neuartigen Begegnungen und Inspirationen.

Inzwischen passiert fast jedes Jahr etwas Neues. Irgendwie für mich die aktuelle Krönung: ein Zinksarg für ihr digitales Erbe „Sterben in der Cloud“. Der USB-Stick liegt drin. Material, Sprache, Idee werden auf verblüffende Weise eins. Überhaupt Sprache, sie gehört zu ihr und ihrem Werk – immer.

Silvia Klara Breitwieser kenne ich seit bald 20 Jahren. Ich dachte mal, dass sich mit zunehmenden Alter ihr energetisches Feuerwerk ein wenig bündelt. Aber auch mit der achten Null ist Ihre Kraft geblieben, wie gehabt. Vielleicht etwas fokussierter, jetzt geht es um ihr Lebenswerk – die „Hinterlassenschaften“. Die wollen geordnet und gebündelt werden – für die Nachwelt und die Nachkommen.

Ich blättere in ihrem gerade erschienen Lebensbuch. Katalog scheint mir nicht der richtige Name. Obwohl er zur Marburger Ausstellung im Herbst 2020 erschien, die stattfand und doch traurigerweise den Dornröschenschlaf der Coronazeit schlafen musste.

Und ich staune. Staune über all das, was da zusammen gekommen und oft erneut verblüffend ist. Die Vielfalt dieses Werkes entspricht ganz und gar der Vielfalt der Person, die allem und jedem gegenüber offen und gleichzeitig ganz bei sich ist.

Jüngst in der Ausstellung der Japanerin Yayoi Kusama erlebe ich Parallellen. Darin, wie sich gelebtes Leben Schritt um Schritt in Kunst verwandelt und ein Eigenleben beginnt. Da passt auch wieder Beuys dazu, über den gerade wieder soviel geschrieben wird. Der Zeitgeist soll weiterleben: Nichts ist zu profan, um sich übersteigert in Kunst zu verwandeln. Sozialer geht Kunst nicht.

S.K.B. und die Japanerin sind in etwa (nicht ganz, zehn Jahre Unterschied) eine Generation und auch vom Alter nicht so weit weg von Beuys. Naja, der ist 18 Jahre älter. Das sind die Jahrgänge 1921, 1929 und 1939. Zeiten, in denen die Welt wieder mal brutale Veränderungen erlebte. Aufbrüche folgten, analog in der Kunst. In Künstlern wie diesen lebt der suchende Geist, der der Zeit ihren Spiegel vorhält.

Washington fällt mir da auch noch ein: Die riesige Gabel mit den Spagetthis, die sich über mehrere Etagen der Museumshauswand ausbreiten.

Und: Marylin und die Tomatensuppendosen…

Installationen, Performance, Happenings… Kunst, die Lebensgefühl direkt transportiert und den Zeitgeist mitdiskutiert, ihn zwingen will – allerdings mit den spielerischen Mitteln der Kunst. Spiel, das ernst gemeint ist. Das ist der Moment, wo ich offenbar immer im tiefsten Inneren berührt bin.

Silvia Klara erlebe ich auf eine sehr heutige Art bodenständig. Sie webt. Alles, was ihr unter die Augen und Finger kommt, gerät zu einem Gewebe aus dem unsere Zeit gestrickt ist. Auch die Menschen, denen sie begegnet, ihr Lebensgewebe, werden zum Kunstobjekt – einst an einem runden Geburtstag präsentiert. Später folgten ihre Menschenbildnisse – ‚Fotografische Reliefs‘. Die Technik der Computer-Generation lässt grüßen. Plötzlich zeigen Alltagsfotos auf ganz besondere Weise Wesentliches. Ich bin fasziniert.

Verwundern, stolpern, mich drin, im Gewebe, verheddern, Grübeln, ein Aha! – so etwa geht es mir mit den Dingen in diesem Lebensbuch. Vordergründig scheint vieles sehr gedacht – am Ende bleibt ein zutiefst Atmosphärisches, das mir zuerst fassbar scheint und im nächsten Moment entwischt.

Unsere Zeit, diese Zeit – dieses Jetzt – hat es in sich. Der Sturm nach der verschlafenen Ruhe? Könnten wir nicht alle etwas spielerischer mit unserem Alltag umgehen. Künstlerischer, was ja doch viel mit Spiel zu tun hat. Das würde der Aggression die Zähne abschleifen und uns dem Frieden im Chaos der Unvereinbarkeiten möglicherweise etwas näher bringen.

Jeder Mensch ist ein Künstler. Das ist Beuys‘ vielzitiertes Credo. Er pflanzte bereits 1982 die erste von 7000 Eichen zur Kasseler Documenta. Es hat noch lange gedauert bis allerorten angefangen wurde, Bäume in großer Zahl zu pflanzen.

Sie – Silvia – hat ihn, Beuys wirklich nicht nötig, sie ist vom selben eigenständigen Geist gespeist, der der Zeit den Zahn aufbohrt und Menschen ist Gesicht sieht.

Ich bin gespannt, was S.K.B. noch so unter die Augen und die Hände gerät – am Ende bin ich sicher, dass ich wieder verblüfft sein werde. Und nachdenklich…

Visuelles aus dem Lebensbuch (kann bestellt werden)

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