Es war einmal oder Trotzkopf In The Age

Es war einmal ein langer Sommer, Farben, Wärme, Licht bis spät in den Abend, üppig wucherndes Grün, auch im Dunkel war’s noch wohlig warm… und ach ja das Leben ist auch mit Maske schön. Am Ende waren es drei Chöre jede Woche, die unterm Fenster sangen. Sozusagen Minnegesang zum Gemeinwohl aller direkt und zufällig Beteiligten. Reisefantasien drängelten sich in den Vordergrund, warum auch nicht.

Es war einmal.

Jetzt ist es ziemlich kühl bis kalt, ab Sechs beginnt die Dämmerung, am Tag hat die Sonne um ihre Rechte zu kämpfen, die farbenfrohen Blätterwelten faszinieren und betrüben mich zu gleich. Es regnet, ziemlich oft, eigentlich nun endlich. Die meist hellblauen „Blätter“ in den Gesichtern kommen wieder üppiger daher und mit ihnen die Ängste, die buchstäblich in der Luft wabern. Es sind nicht meine, aber…

…ich will wieder spontan Bilder angucken gehen oder ins Konzert, ich will mal kurz aus dem Stand oder auch länger geplant vereisen, den Menschen ins Gesicht sehen, nicht alles zehnmal überlegen. Trotzkopf IN THE AGE, innerliches Aufstampfen.

In diesem Moment singt wieder ein Chor unterm Fenster. Hätte er wohl nicht gemacht, ohne all die Begrenzungen, gleich gar nicht bei diesen Temperaturen.

Ich mache das Fenster ein Viertelstündchen auf, schalte die Tageslichtlampe an und rücke mir die Pinsel zurecht.

HERBSTZAUBEREIEN

Unsagbar?

Manchmal habe ich das Gefühl mitten in einer Schlangengrube zu stehen. Um mich herum kringelt und wimmelt es ohne Ende. Die Vorstellung ist schrecklich, mit diesen Tieren geht es mir einfach nicht gut. Ich mag sie nicht.

Jedoch: diese Schlangen um mich herum sind die Ängste, die seit diesem Jahr unüberschaubar hochwabern. Die Angst, vom Virus in Grenzbereiche von Leben und Tod katapultiert zu werden. Die dadurch bedingte Angst vor meinem Mitmenschen. Könnte er womöglich so ein Teilchen versprühen…? Die Angst vor einem frühzeitigen Ende des Erdendaseins, die Angst immer mehr allein sein zu müsssen, isoliert… Die Angst, daß meine materielle Existenz nicht mehr gesichert ist. Und auch die Angst, vom Staat meiner demokratischen Rechte beraubt zu werden, die Angst vor Bevormundung und einer unerträglichen Freiheitsberaubung durch all die Vorschriften, die gerade wieder zunehmen.

Es sind alles nicht meine Ängste. Was das Virus angeht, bin ich vorsichtig, mal mehr, mal weniger, es muss lebbar bleiben, auch wenn ich zu den extrem Gefährdeten gehöre.

Vorsicht ist überhaupt so ein Charakterzug, der im Laufe meines Lebens gewachsen ist. Finde ich gut. Vorsicht steht jenseits von Leichtsinn, Übermut und Tollkühnheit. Ich bin nicht unvorsichtig, wenn ich mich bewusst für etwas entscheide und kann dann auch die möglichen Konsquenzen tragen.

Wirklich Angst macht mir die Schlangengrube der Ängste. Was da wabert ist für mich kaum noch auszuhalten. Da lebt ein unberechenbarer Geist, da leben ungezügelte Gefühle, da tun sich Abgründe aller Art auf.

Wenn bei mir Ängste aufkommen, dann versuche ich hinzusehen, genau hinzusehen. Da ist die Kreuzotter, die ist gefährlich, bei der muss ich gut aufpassen. Die ganz Große da, sollte sich nicht um meinen Hals legen, also in Acht nehmen und auch sie im Auge behalten. Die anderen sind harmlos, ich mag sie trotzdem nicht in der Hand halten und um meine Beinen herum haben. Wenn ich die Grube verlasse und von oben drauf schaue, kann ich auch einige Schönheiten entdecken mit interessanten Mustern und besonders grazilen tänzelden Bewegungen. Meine Ängste lösen sich auf.

Hinschauen, ordnen, Gefühle sortieren und…weiterdenken. So ungefähr gehe ich mit meinen Ängsten um. Was ließe sich denn Konstruktives aus dem machen, was sich nicht vermeiden lässt?

Irgenwie bin ich diesem Virus immer wieder dankbar. Ja wirklich. Es holt lange gut Gedeckeltes gnadenlos nach oben, es fegt die Schläfrigkeit wohlsituierten Lebens davon, fordert neues (Nach)Denken heraus. Leider nehmen die Versuche zu restaurieren über Hand, statt ganz neue Konstrukte für unser Leben zu entdecken, zu finden und zu probieren. Im ganz Kleinen und im ganz Großen und zwischendrin. Wir können, wir dürfen, wir müssen kreativ werden. Da beginnt der Spaß für mich, die Lebendigkeit. Wir könnten freudig aus der großen Krise hervorgehen. Mit neuen Hoffnungen und neuem Selbstverständnis. Die Ängste und Schlangengruben werden nicht verschwinden, aber wir fangen an, sie zu beherrschen. Dazu braucht es Geduld, die Elfte der zwölf Tugenden. Geduld heißt auch: aushalten, etwas durchtragen auf lange Zeit und trotzdem immer wieder bei mir und mit mir selbst sein. Unsagbar?!?

Perspektiven? Momente aus einer geschichtsträchtigen Gegegend: Worpswede

Jüngst in Worpswede

Ein gewaltiger Stein in der Mitte von Worpswede, Bernhard Hoetger hat ihn zurecht gemeißelt. Er fesselt mich, na ja er hat mit mir zu tun. Es ist die „Wut“, die mich da mit Brachialgewalt anspringt. Ein verknotetes Etwas, ein Mensch. Wirklich zum Fürchten.

Ich hoffe nur, ganz so schlimm hat mich keiner in meiner Wut erlebt. Ansonsten, lasst Gnade walten. Ich kann ganz schön wütend werden. In der Regel dann, wenn ich Ungerechtigkeit erlebe – egal ob sie mich oder andere betrifft. Aber auch im Großen und Ganzen, immer dann wenn Macht, Gier und Geld das Handeln bestimmen und (Mit)menschlichkeit aufs Nebengleis gerät oder ganz verschwindet.

Was könnte die Wut erlösen? Wenn ich auf meine ratgebenden zwölf Tugenden schaue, dann dürfte es die Milde sein. Ins Heute-Deutsch übersetzt könnten wir etwa von Güte sprechen. Aber das alte Wort Milde scheint mir hier viel besser zu passen. So im Sinne „lass Milde walten, wenn da auch etwas nicht in Ordnung war“. Mit dem Wort Güte scheint mir der Satz nicht so stimmig zu sein. Mit Milde der Wut begegnen und sie so zu dimmen, dass Mitmenschlichkeit möglich bleibt.

Ob sich der gewaltige Stein mit Milde erlösen lässt?

Jedenfalls hat er etwas in mir angeregt.

AltMODISCH

Die Bescheidenheit ist so etwas wie meine Lieblingstugend. Ich weiß, Tugenden sind altmodisch und Bescheidenheit erst recht. Gut, dann bin ich eben gern altmodisch. Denn im Sinne der zwölf Tugenden meint Bescheidenheit etwas ziemlich anderes als wir es gemeinhin gelernt haben. Der von mir gemeinte Sprachgebrauch geht ins frühe Mittelalter zurück.

Gemeint ist nicht das Sich-Selbst-Zurücknehmen, nicht das brav im Hintergrund Ausharren bis zur Unsichtbarkeit. Das war einmal. Vor allem Mädchen wurde einst gelehrt , solch eine Haltung zu verinnerlichen.

In der Reihe der zwölf Tugenden steht Bescheidenheit an achter Stelle. Und meint etwas ganz anderes: Nämlich, zu lernen das eigene Schicksal anzunehmen, statt damit zu hadern oder es zu bekämpfen.

Was diese Art Bescheidenheit aber auch nicht meint, das ist Fatalismus, sich passiv in das Unabänderliche begeben.

Was aber dann?

Zum Beispiel:

Ich akzeptiere, was ist und beginne MEIN Leben mit dem Material, das es mir ‚rüber reicht – ‚überreicht‘ -, aktiv zu gestalten. Kreativ eben. Ich habe oft nicht, was ich gern hätte. Doch das ist schlichtweg unabänderlich.

Also fange ich mit dem, was ich habe, etwas an. Das ist alles andere als langweilig. Mit dieser Haltung kann es richtig spannend werden. Ich nehme das Leben gern als Herausforderung an. Aber keineswegs als dauerhaften Kampfplatz. Ich selbst erlebe, dass das Kämpfen eher von außen an mich herangetragen wird. Dann, wenn ich nicht das Erwartete, das Erwünschte tue, wenn ich anders reagiere als es in festgezimmerten Vorstellungen sein sollte.

Aber: Ich kann mich selbst finden in meinen Lebens-Herausforderungen, wenn ich mich ihnen immer wieder geduldig stelle. Irgendwann stehe ich dann vor etwas Neuem, manchmal einschneidend Neuem. Häufiger erscheint es eher „kleinteilig“, ist fast zu übersehen. Wenn ich dieses neu Errungene bemerke, dann freue ich mich. Ganz unbescheiden.

Immer noch altmodisch…?

Lebenswege? Einmal impressionistisch (Museum Baberini),einmal japanische Moderne traditionell/Sand (Gropiusbau)

NOCH…

…ist Sommer, Spätsommer. Noch/wieder ist die Luft lau. Noch laden Seen zum Baden ein. Noch sind die Bäume ziemlich grün und die Blumen bunt. Noch geht fast alles unterm freien Himmel, an dem die Schäfchen lang flitzen.

Noch, noch, noch…

Noch ist die Welt voller Farbe.

Milde gesagt ist sie auch politisch sehr bunt. Die nicht so heile Welt rückt näher. Das macht Frösteln.

Kastanien und Eicheln kullern am Boden. Schon sind tagsüber Jacken aller Coleur wieder angesagt. Am Abend schon der Griff zur Strickjacke.

Aber bald wird die Balance zwischen Außen und Innen schwieriger. Der Herbst steht unweigerlich vor der Tür.

Es wird stürmen.

Am Ende bleibt immer das im Augenblick Machbare.

Und das ist viel – ganz schön viel.

GEWEBE-SPINNEN-GEWEBE

Gehorchen und Ungehorsam

Ich beginne, wo ich jüngst aufgehört habe. Mit dem Satz, der für die Hannah-Arendt-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum unter den Linden wirbt: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen“. Das ist ein Satz, der mit Sicherheit aus dem Kontext ihrer intensiven Auseinandersetzung mit dem Radikal-Bösen, auf dem Hintergrund ihrer persönlichen Erlebnisse mit dem 3. Reich entstanden ist. Sie, die Jüdin, die in die USA emigrieren musste. Eventuell besser: ihr war es vergönnt zu fliehen und sie konnte sich auf abenteuerliche Weise retten. Sie, die den Eichmann-Prozess im Jahr 1961 als amerikanische Korrespondentin begleitete und sich mit dem „Radikal Bösem“ in ihrem Lebenswerk auseinander setzt, sie die ihre Laufbahn mit einer Rahel-Varnhagen-Biografie begann. Varnhagen, eine Jüdin im Mittelpunkt der Berliner gebildeten Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, die als assimiliert und integriert galt. Genau das recherchiert und hinterfragt Hannah Arendt .

Ich möchte mir nur mal diesen einen Satz stehlen und ihn loslösen aus seinem Kontext. Er macht mich, je öfter ich mit ihm umgehe, geradezu kribbelt: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen“. Wie ist das mit dem Gehorchen?

Müssen Kinder gehorchen? Ich glaube nur dann, wenn es um ihre physische Sicherheit geht, wenn sie beginnen, die Welt zu erkunden. Ansonsten neige ich zu einem radikalen NEIN. Weder in der Familie, noch in der Schule. Sie sollen doch eigenständige Persönlichkeiten werden. Das geht nicht mit Gehorsam. Das geht nur mit Fragen lernen, mit Hinterfragen, mit in Frage stellen. Schon allein das bewegt sich dicht am Ungehorsam oder ist es auch oft.

Ich möchte Heranwachsenden schon gern meine moralischen Wertvorstellungen vermitteln, sie aber nicht indoktrinieren. Ich bin mir sicher, dass das der sicherste Weg zum Misserfolg wäre. Darüber reden, diskutieren, immer wieder, ja. Aber ansonsten muss jeder Mensch sich eine gute, tragfähige Moralität auf seinem Lebensweg erringen. Gehorchen taugt einfach nicht für das Wachstum innerer Werte. Und die brauchen wir dringend, um in den Stürmen des Lebens bestehen zu können.

Und dann ist der Mensch erwachsen. Er muss sich zwangsläufig in verschiedene soziale Systeme integrieren. Heisst das nicht zwangsläufig auch gehorchen? Ich glaube, wenn ich unreflektiert dem folge, was mein Ausbilder, mein Arbeitgeber, was die Menschen, die Politik gestalten, verordnen, dann gehorche ich.

Okay, ich habe aber eine eigene Meinung, die nicht unbedingt konform ist. Doch muss ich meinen Arbeitsplatz behalten, ich möchte etwas lernen und kann es letztlich meist nur in dem bestehenden System. Also ordne ich mich ein und gehorche demzufolge. Aber nach dem Hannah-Ahrendt-Satz habe ich kein Recht zu gehorchen. Ausständig im Inneren und gehorsam im Aussen als Lösungsweg?

Wo ist die Wahrheit? Da fällt mir noch das Wort Zvilcourage ein… Irgendwo dort vielleicht, wenn es um Ungehorsam geht. Doch dazu muss ich zwingend selber denken und nicht auf bequeme Anweisungen von irgendwo oben warten. Ich muss bewusst Verantwortung übernehmen für mich zu allerst…und für meine Mitmenschen.

Demos, Transparente, die Straße lehne ich nicht ab. Aber das ist nicht mein Weg. Wenn immer mehr auf den oft wirren und schwierigen Pfaden der Vernunft mitgehen würden, wie schön, da bin ich immer dabei.

II. UNgehorsam

Gehorsame Kinder habe mich mir nie gewünscht. Vernünftige schon. Kinder, die Einsicht in gute Argumente haben und versuchen zu folgen. Na ja, das war sicher illusionär. Und dann musste immer mal das berühmte „Machtwort“ gesprochen werden: „Jetzt wird es so gemacht.“ Der Widerstand blieb und irgendwie haben wir uns aus der Situation herausgehangelt.

Die Spanne reicht halt von blindem Gehorsam, wenn z.B. Kind und Auto drohen zu kollidieren, bis zu Endlos-Diskussionen. Gegen letztere habe ich nichts, wenn wissenshungrige und belebende Fragen das Spiel bestimmen.

Dennoch: Mein Irrtum bestand darin nicht genügend zu berücksichtigen, dass Vernunft ein bestimmtes Maß an menschlicher Reife und Erfahrung voraussetzt. Daran mangelt es Kindern objektiv.

Mmmmh…

Bei Erwachsenen, dachte ich lange Zeit , ist das anders. Genau das, das war nicht ganz selten ein Irrtum, manchmal auch ein schmerzlicher. Da wurden den Gefühlen die Zügel überlassen. Die Argumentation: Ja, wir müssen doch auf unsere Gefühle hören, das ist so wichtig.

Ja, müssen wir. Nein, bitte nur im Verein mit unserem Verstand. Klar dürfen Gefühle, wie Wut und was weiß ich, auch mal spontan geäußert werden. Letztendlich haben sie aber ihre Wurzeln in uns selbst. Wir sind der Nährboden. Und wenn wir nicht mit ihnen, den Gefühlen ins Gespräch kommen, wird es meist ungemütlich – für mich und die anderen.

Erwachsener Ungehorsam sollte doch aus Gefühl und Verstand geboren werden. Sollte… Ich glaube, nur so führt er auf produktive Wege, die vielleicht auch Veränderung bewirken können.

Wohlfühl-Sommer und Irritation

So darf’s bleiben. Gern bis zum nächsten August. Der Hitze-Shutdown tut gut, auch wenn die ersten braunen Blätter schon jetzt unter den Füßen knistern.

Ansonsten Irritation. Verstörung. Ich selbst ein großes Fragezeichen. Schlingensief. Der Dokumentarfilm über ihn. Ein Durcheinander im Kopf hat er angerichtet. Ich habe seine Jeanne d’Arc in der Deutschen Oper, Bilder vom Parsifal in der Wagner-Hochburg gesehen, viel im Fernsehen, manches gehört über ihn. Und das Operndorf Burkina Faso, das weiter entsteht, langsam wie eine Schnecke, so wie sie im Grundriss verewigt ist. Es soll werden und wird werden, das Anti-Bayreuth. Das hat mich am meisten fasziniert.

Aber seine Kunst verstört mich. Ein Beuys in unserer Zeit und auf den Theater- und Opernbühnen unterwegs? Ich versuche zu strukturieren, was ich erlebt habe auf der großen Leinwand. Es will nicht gelingen. Wenn er über sich und sein Welt- und Kunstverständnis erzählt, ist er der Typ des Traumschwiegersohns, emphatisch, er sagt das Verrückteste auf liebenswerte Weise, gut aussehend ist er auch noch – und von einer berührenden Heiterkeit. Er stellt die Welt in Frage, will aufmischen. Will einen Blick auf diese Welt werfen, mit dem er das Chaos darin noch mehr chaotisiert. Da sie so ist wie sie ist, bin ich mit ihm durchaus konform. Den Wagner-Olymp mit einem irren „Parsifal“ aufzumischen , das ist für mich absolut sympathisch. Es geht ihm wohl um das Festgefahrene, eigentlich kaum Aushaltbare, was aber trotzdem von den meisten gut ausgehalten wird. Ich glaube, genau darum scheint es ihm zu gehen. In einem Filmausschnitt nach der Aufführung lächelt Frau Merkel. Wie mir schien, kam es von innen, war nicht unbedingt medienkonform.

Also, Christoph Schlingensief, wer weiß was die Altersweisheit aus ihm herausgelockt hätte. Im August vor zehn Jahren, 49 Jahre jung, ist er gestorben. An Krebs. Wer derart chaotisiert, dessen Immunsystem spielt dann womöglich auch verrückt. So ein Satz in etwa kam auch von ihm selbst im Film.

Wie schade, dass er nicht mehr direkt mitmischt. Ich lass mich ziemlich gern irritieren… Der Titel des Films „Schlingensief – in das Schweigen hineinschreien“ und gut zwei Stunden lang.

Also, mutig war er ganz bestimmt. Und er ist sich treu geblieben. Auf den allerersten Blick – soweit zu den Tugenden.

 

Es könnte so weitergehen…WG

Heute zeigt sich der Sommer endlich mal wieder von seiner milderen Seite: Nicht mehr als 24 Grad, ein sanfter Wind, nicht zu viel Sonne. So könnte mein Ganzjahreswunschwetter aussehen. Die Faulheit wird nun von ihrem ständigen Platz in den Startlöchern geschubst. Ich muss mich nicht mehr permanent vor mir selbst entschuldigen, weil ich mich zu nichts so richtig auf raffen kann. So sieht der Luxus, des Fast-Nichts-Mehr-Müssens aus.

Nun aber gewinnt das Leben wieder etwas Struktur. Das tut ziemlich gut.

Trotzdem und ehrlich, faul sein ist auch nicht zu verachten. Ich lausche dem Rauschen der Bäume vor dem Fenster, gerade fängt der Chor dort unten wieder zu proben an. Corona-Erbe. Das entzückt nicht nur mich, auch der noch Dreijährige hat schon strahlend zugehört. Ihn machen allerdings auch die Tatütatas zwischendurch glücklich. Die Feuerwache befindet sich in der Nähe…

Und: Wieder atmen können, weil sich der Heuschnupfen langsam verabschiedet, weil die Mäuse-WG vorerst beendet scheint.

Ein nette WG ist übrigens auf meinem Balkon gewachsen. Der erinnert inzwischen an einen Bauerngarten mit mediterranen Einschlag. Eng umschlungen haben Malvenstrauch und Glyzinie sich eingerichtet. Die Kräuter duften. Die Enkelmäuse haben Spaß am Düfteraten. Zwischendurch fliegen auch bunte Blasen ins Land.

Was/wer gern bei mir ist, darf bleiben. Die Edelrosen sollen woanders glücklich werden.

Das Plänemachen meldet sich wieder ein wenig zu Wort. Ich denke ganz gern an Überüberübermorgen und hole mir daraus die Kraft für Morgen. Aber eben erst überüber……..

Warum eigentlich das schlechte Gewissen beim trägen Faulenzen? Ich hatte schon mal beschlossen, es in Lenzen umzutaufen. Genau genommen ist ewiges Tun auch eine Variante von faulsein. Ich muß mich dann nicht mir selber stellen. Geschäftigkeit ist auch eine schöne Ausrede.

Na gut, „Das rechte Maß“ hatte ich Vorgestern beim Wickel.

Die Tugend davor, das ist die Treue, die vierte der Zwölf. Bin ich mir immer selber treu und lasse mich nicht von meinem Pfad abbringen? Das wäre die erste Frage dazu. Was verführt mich, lockt mich vom Weg? Ein bißchen schon die Faulheit und Trägheit. Ansonsten muß ich da mal weiter nachdenken. Die Treue halten zu den Menschen, die mich umgeben, überhaupt zu allem, was mich begleitet – oft schon ein Leben lang, irgendwie tue ich es schon. In Zeiten der Stille, wie jetzt, drängen sich häufiger die Menschen vor, die schon in einer anderen Welt weilen. Erinnerungen schubsen mich bei allen möglichen kleinen Anlässen an. Sie machen mich oft ein wenig traurig.

Im besten Fall beginnt ein Gespräch mit ihnen, eines der anderen Art. Manchmal auch ein Streitgespräch wie einst. Das tut gut. Ich finde Streiten produktiv. Mit H. ging es oft um Gemeinschaft, meine Skepsis diesbezüglich kontra seiner Leidenschaft dafür. Er hat es immer wieder versucht im Großen und im Kleinen, ich war und bin überzeugt, dass Gemeinschaft bei gnadenloser Arbeit an sich selbst beginnt. Inzwischen glaube ich schon, dass beides gleichzeitig immer wieder geübt und probiert werden muss. Wohlbebemerkt geübt, ohne absehbare Erfolgsaussichten. Wenn sich zwei so begegnen ist das so was wie eine WG.

Da fällt mir ein, die liebe U. hat mich zu Großfamilienzeiten oft, mit breit gezogenen Mundwinkeln, zur WG-Chefin „ernannt“. Macht sie auch heute noch gern, wenn sie mich Bekannten vorstellt.

Und jetzt gewittert es draußen – endlich. Nur leider ist nun auch der Chor verstummt. Ein schöner Sommerabend, dem ich gern treu bleibe.

Heute

Ei der Daus…

…weg ist die Maus! Seit vier Tagen keine sichtbaren Spuren. Ich beginne, mich in meiner Wohnung wieder ungezwungen zu bewegen, sie gehört wieder mir. Hoffentlich nicht zu früh gefreut. Doch das nur nebenbei.

Die Havel ist angesagt. Ihrer Schönheit und ihrer nur wenig begrenzten Natürlichkeit erliege ich seit Jahren stets von Neuem. Gestern wieder mal die Sandstrand-Badeidylle mit regem Schiffsverkehr. Viele Segelboote aller Größen, Lastkähne mit z.B. polnischer Flagge, Yachten von winzig bis Einfamilienhausgröße mit Balkon, Paddel- und Ruderboote, die großen Ausflugsschiffe aus Berlin und Potsdam, mal ein Stand-up-Paddler…na ja und auch ein lauter Raser und gut gestimmte schwimmende Party-Lauben. Ohne die geht es offenbar nirgendwo mehr.

Vor allem aber Beschaulichkeit und ziemlich klares Wasser. Für alle ist Platz, auch für die Kühle suchenden Schwimmer. Ein Wind weht – alles fühlt sich ein bißchen wie am Meer an. Urlaubsgefühle kommen auf. An den Hörnern, genauer dem Schildhorn und dem Kuhhorn lässt es sich gut sein. Schon die Namen haben ihre Romantik. Hörner, die kleineren Landzungen im Fluss.

„Rom ist vielleicht die schönste Stadt der Welt. Aber mein Potsdam und meine Havel sind mir lieber.“ Das schrieb Philipp Franck so um die Wende zum 20. Jahrhundert. Und malte dieses Idyll, das sich durch die Großstädte Berlin und Potsdam schlängelt. Er spricht mir aus der Seele. Nach den Badefreuden zog es mich zu seinen Bildern. Die sind zur Zeit in der Galerie von Mutter Fourage in Wannsee zu sehen. Wer diesen Fluss und diese Landschaft mag, dem sei ein Ausflug empfohlen. Die Ausstellung endet schon am 30. August. Ansonsten lohnt ein Besuch der Gärtnerei mit dem Cafe mittendrin immer. Alles zusammen ist auch gut mit dem busläufig zu erreichen.

So kann, so darf Berlin im Sommer sein, auch in diesem so merkwürdigen Jahr…und lässt Corona-Orgien, innere und äußere vergessen.

Dabei finde ich das Rechte Maß, die Fünfte der zwölf Tugenden, mein rechtes Maß und meine innere Mitte.

Das Rechte Maß meint, dass es von allem immer auch ein zu Viel des Guten sein kann und dann eben nicht mehr gut ist. Zum Beispiel kann zu viel Mut in Leichtsinn oder Tollkühnheit ausarten. Ein Übermaß an Milde, sprich Güte, die dritte Tugend kann, durchaus notwendige, Grenzen verwischen. Und mit dem Rechten Maß ist es vielleicht so, dass es mir Beweglichkeit in größeren und kleinen Kreisen rund um die Mitte abverlangt. Und das Aushalten-Können derselben, ich meine Kreise.

Womit ich von der Maus, über die Havel doch noch zu meinem Lieblingsthema gekommen bin. Ha, ich hab’s hinbekommen.

Ein Foto von „Vorvorgestern“, eines von Gestern und eines der Bilder von Franck.

Meine lange Sommerpause…

…beende ich hiermit. Und halte hoffentlich mein Versprechen. Wenn auch Sommer und Hitze weiter durchalten. Und das finde ich ja auch seeeehr schön.

Die Hitze macht träge und faul. Das finde ich wiederum nicht so toll. Ich frage mich immer wieder, wieviel davon Ausrede ist, und wieviel davon einfach zu akzeptierende Realität. Ich muss es halt doch mit mir selbst ausmachen.

Auch das mit dem Mut, der ersten der zwölf Tugenden, die ich schon mehrfach erwähnte. Jüngste Mutprobe im Alltag. Zwei Stunden Busfahrt stehen bevor. Direkt vor mir platzieren sich vier starke Jungmänner verschiedener Nationalitäten, offenbar Bestandteil einer Fußballmanschaft. Sie schwatzen ununterbrochen – da soll noch mal einer sagen, dass das die Mädchen auszeichnet. Aber, trotz Anweisung ignorieren sie die uns alle einenden wunderschönen Gesichtsmasken.

Und ich?

Ich wende mich ab, so gut eben wie es geht, um ihrem „Sprühregen“ zu entgehen. Mir geht es nicht gut damit. Sage ich etwas oder nicht? Ich steige nach zwei Stunden aus und habe nichts gesagt.

Feige? Prüfung nicht bestanden? Mutprobe verweigert?

Ich befürchtete, nicht den richtigen Ton zu treffen. Wollte keinen Zoff, da wir ja noch zwei Stunden miteinander im Bus eingesperrt waren. Vielleicht waren das auch gute Argumente für mich und keine Ausflüchte vor mir selber.

Ich gehe gewöhnlich nicht dogmatisch mit dem Thema Maske um, aber neige grundsätzlich zu vorsichtigem Handeln. Habe ich mir da selbst ein Bein gestellt? Mit meinem eigenen inneren Widerspruch.

Bestimmt werde ich wacher in die nächste Situation dieser Art hineingeraten. Und die wird unweigerlich kommen. Mal sehen, was dann bei mir passiert